Die Fragen, die an die Jurist_innen der ÖAMTC-Rechtsberatung herangetragen werden, sind ebenso vielfältig wie die Themenbereiche, im Rahmen derer sie Mitgliedern rechtliche Auskunft geben und Unterstützung leisten – von Autokauf über Flugausfall, Skiunfall, Verkehrsstrafe bis hin zur Zugverspätung. Und sogar die eine oder andere am Stammtisch geschlossene Wette wurde schon durch eine Rechtsauskunft der Clubjurist_innen entschieden.
„Über die Jahre hinweg haben sich einige "Klassiker" manifestiert, mit denen wir in der Rechtsberatung sehr häufig konfrontiert sind – besonders im Verkehrsrecht, aber auch in anderen Bereichen der Mobilität existiert viel rechtlicher Irrglaube in der Bevölkerung, wie wir regelmäßig mitbekommen. Diese Irrtümer halten sich hartnäckig und sind oftmals der Grund für Bestrafungen oder privatrechtliche Streitigkeiten, die sich relativ einfach vermeiden ließen“, so Nikolaus Authried, Leiter der ÖAMTC-Rechtsberatung in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. Authried und sein Team haben die häufigsten Irrtümer aus diversen Bereichen zusammengetragen, so auch jene betreffend Verkehrsunfall und Versicherung:
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Irrtum #1
– „Ein Zettel auf der Windschutzscheibe reicht als Meldung nach einem Parkschaden“: Wenn bei einem Verkehrsunfall lediglich Sachschaden entstanden ist, müssen die Unfallgegner_innen einander jeweils Name und Anschrift nachweisen.
Ist der/die Besitzer_in des beschädigten Fahrzeugs beim Unfall nicht anwesend und in der näheren Umgebung auch nicht schnell ausfindig zu machen, muss so schnell wie möglich eine Meldung bei der nächsten Polizeidienststelle gemacht werden.
Achtung: Die Rechtsprechung ist diesbezüglich sehr streng – schon eine halbe Stunde nach dem Unfall kann zu spät sein. „Einfach einen Zettel hinter dem Scheibenwischer des beschädigten Fahrzeugs zu hinterlassen, reicht hier keinesfalls aus“, so der ÖAMTC-Jurist.
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Irrtum #2
– „Bei einem Auffahrunfall ist immer der Auffahrende schuld“: Das ist nicht immer so. Hier sind zwei besondere Bestimmungen zu beachten: Einerseits müssen Fahrzeuglenker_innen einen Sicherheitsabstand zum Vorderfahrzeug einhalten, der groß genug ist, um jederzeit rechtzeitig anhalten zu können – selbst wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abbremst.
Andererseits darf ein/e Fahrzeuglenker_in nicht abrupt und für das nachfolgende Fahrzeug überraschend bremsen, wenn andere Straßenbenützer_innen dadurch gefährdet oder behindert werden (außer die Verkehrssicherheit erfordert den abrupten Bremsvorgang in diesem Moment). Bremst der/die Vordere also grundlos und überraschend ab, so kann auch diese Person ein Verschulden am Auffahrunfall treffen.
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Irrtum #3
– „Fahrerflucht kann einem nur vorgeworfen werden, wenn man Schuld am Unfall hat“: Das Gesetz verpflichtet alle Personen, deren Verhalten einen Unfall (mit-)verursacht hat, sofort anzuhalten sowie nötigenfalls die Unfallstelle abzusichern bzw. Erste Hilfe zu leisten und an der Aufklärung des Vorfalls mitzuwirken.
Macht man das nicht, begeht man Fahrerflucht. Auf ein alleiniges Verschulden kommt es dabei nicht an – es genügt, wenn man zum Unfallhergang beigetragen hat. „Deshalb ist eine Strafe wegen Fahrerflucht z. B. auch dann möglich, wenn man sich an alle Regeln gehalten hat und dennoch mit einem Wildtier auf der Straße zusammenstößt und danach einfach weiterfährt, ohne die nächstgelegene Polizeidienststelle zu verständigen“, informiert Nikolaus Authried.
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Irrtum #4
– „Insassen benötigen eine separate Insassenunfallversicherung“: Beifahrer_innen bzw. Insass_innen sind prinzipiell durch die Haftpflichtversicherung des Kfz, in dem sie sitzen, bzw. durch jene des Unfallgegners geschützt, wenn es zu einem Verkehrsunfall kommt. Welche Versicherung leistungspflichtig wird, hängt von der konkreten Haftung bzw. vom Verschulden ab. Spezielle "Insassen-Unfallversicherungen" können aber zusätzlichen Schutz bieten, etwa weil die Haftungssummen höher sind und bereits vor Klärung der Verschuldensfrage gezahlt wird.
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Irrtum #5
– „Wenn beide Unfallbeteiligten Schuld tragen, muss jede/r selbst für den eigenen Schaden aufkommen“: Gibt es bei einem Schadensereignis zwei oder mehrere Personen, die rechtswidrig und schuldhaft dazu beigetragen haben, haften alle anteilig – gemäß dem Grad des eigenen Mitverschuldens. Wird bei zwei Unfallbeteiligten einer Person ein Drittel Mitverschulden angelastet, der anderen zwei Drittel, bekommt letztere auch nur ein Drittel des Schadens ersetzt. Der ersten Person (mit weniger Verschulden) werden zwei Drittel des eigenen Schadens vom Gegner abgegolten.
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Irrtum #6
– „Nach einem Unfall steht dem Unschuldigen immer ein Leihfahrzeug zu“: Das kommt ganz auf den Versicherungsvertrag an. Hat der/die Geschädigte im Rahmen der Haftpflichtversicherung die "Variante A" abgeschlossen – die sogenannte Leihwagenverzichtsvariante – steht ihm/ihr tatsächlich kein Leihwagen zu, wenn das gegnerische Kfz auch im Inland versichert ist.
Die meisten Versicherungsnehmer_innen entscheiden sich für diese Variante, da in diesem Fall die Prämie günstiger ist. Hintergrund: „Die Versicherungsnehmenden verzichten dabei zu Gunsten der Gesamtheit der Versicherten auf diesen Anspruch – im Gegenzug steht ihnen nach dem Gesetz ein Nachlass von 20 Prozent der vereinbarten Prämie zu“, erläutert Nikolaus Authried vom ÖAMTC.
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Irrtum #7
– „Haftpflichtversicherungen machen sich untereinander das Verschulden der Unfallbeteiligten aus“: Nach einem Verkehrsunfall könnte man aufgrund der mitunter langen Bearbeitungszeiten manchmal den Eindruck gewinnen, die Haftpflichtversicherungen der beteiligten Kfz-Besitzer_innen würden untereinander verhandeln, welche Versicherung wie viel des entstandenen Schadens ersetzen muss.
Dabei haben die beiden Haftpflichtversicherungen grundsätzlich nichts miteinander zu tun. Beide haben jeweils die Pflicht, verursachte Schäden beim anderen Unfallbeteiligten zu ersetzen, genauso wie unbegründete Forderungen abzuwehren. Das geschieht jedoch nicht untereinander: "Gegner" ist nicht die andere Haftpflichtversicherung, sondern der Unfallgegner, also etwa der verletzte Fahrzeuglenker des Pkw, dem man aufgefahren ist.
„Die beiden Haftpflichtversicherungen beurteilen unabhängig voneinander und können zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen“, erklärt der ÖAMTC-Jurist.
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Irrtum #8
– „Schmerzengeld muss der/die Unfallverursacher_in aus eigener Tasche zahlen, die Versicherung kommt nur für Sachschäden auf“: Wird man unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt, hat die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers für alle aus dem Unfall resultierenden Schäden einzustehen. Dies beinhaltet nicht nur Sachschäden, sondern auch Personenschäden. Der Anspruch auf Schmerzengeld richtet sich also grundsätzlich auch gegen die Haftpflichtversicherung, die dafür ebenso wie für den Sachschaden aufzukommen hat.
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Irrtum #9
– „Kaskoversicherung versus Haftpflichtversicherung – Totalschaden ist Totalschaden“: Entgegen der gängigen Annahme, Kasko- und Haftpflichtversicherung würden einen Totalschaden auf die gleiche Weise berechnen, machen die Versicherungen sehr wohl einen Unterschied in der Kalkulation: Bei der Ermittlung eines sogenannten wirtschaftlichen Totalschadens unterscheiden sich Haftpflicht- und Kaskoversicherung sogar erheblich.
In der Haftpflichtversicherung spricht man von einem wirtschaftlichen Totalschaden, wenn die Kosten für die Schadenreparatur deutlich höher sind als der Wiederbeschaffungswert, sprich als die Kosten für den Ankauf eines gleichartigen Fahrzeugs. In der Kaskoversicherung liegt ein solcher Totalschaden meist schon dann vor, wenn die Reparatur teurer ist als der durch den Unfall eingetretene Wertverlust des Wagens.
Die ÖAMTC-Rechtsberatung steht Club-Mitgliedern österreichweit mit Rat und Hilfe zur Seite – kompetent und kostenlos. Ein Online-Kontaktformular sowie eine Übersicht zur Erreichbarkeit der Rechtsberatung im jeweiligen Landesverein findet man unter www.oeamtc.at/rechtsberatung . Bei Notfällen, die einer sofortigen Unterstützung bedürfen, sind die ÖAMTC-Jurist_innen auch in der Nacht oder an Feiertagen unter der Nummer des Schutzbrief-Notrufs +43 (0)1 25 120 00 rund um die Uhr erreichbar.